Wir haben mit Andrea Standecker, Mitarbeiterin im Team Sports und langjähriger Teil der Special Olympics Familie, gesprochen, um mehr über Unified Sports® zu erfahren. Was für sie das Besondere daran ist und wie Unified Judo funktioniert, erfahrt ihr hier.
Wie würdest du jemandem, der oder die noch nie von Unified Sports® gehört hat, das Konzept in einfachen Worten erklären?
Andrea: Um es ganz einfach zu erklären: Unified Sports® ist inklusiver Sport von Menschen mit und ohne geistiger Behinderung. Das ist die Grundlage von allem.
Dabei nennen wir Sportler*innen mit geistiger Behinderung Athlet*innen und Sportler*innen ohne geistige Behinderung Unified Partner*innen.
Und was ist für dich persönlich das Besondere daran?
Ich würde sagen das Miteinander. Dass man wirklich merkt, wie die Teams zusammenwachsen, auch dort wo man vielleicht am Anfang nicht davon ausgehen würde, dass eine so heterogene Gruppe auf die Art und Weise zusammenwachsen kann. Das ist dann gelebte Inklusion und auch ein wichtiges Prinzip von Unified Sports®: nämlich, dass alle sinnvoll eingebunden werden.
Was sind weitere Grundsätze von Unified Sports®?
Jetzt wird es etwas theoretisch. Unified Sports® basiert grob gesagt auf drei Ansätzen, die allen Menschen die Teilnahme ermöglichen sollen. Wichtig ist, dass es kein Ranking zwischen den Ansätzen gibt:
1. Der freizeitorientierte Ansatz. Hier steht das gemeinsame Sporttreiben im Fokus, ohne jegliche Einschränkungen wie beispielsweise die Leistungsstärke oder das Alter.
2. Der entwicklungsorientierte Ansatz. Hier steht eher das voneinander Lernen im Vordergrund, da Personen unterschiedlicher Leistungsstärke miteinander Sport machen und quasi die leistungsschwächeren Sportler*innen, egal ob Unified Partner*in oder Athlet*in, von leistungsstärkeren Personen lernen können.
Das ist gelebte Inklusion und ein wichtiges Prinzip von Unified Sports®: dass alle sinnvoll eingebunden werden.
3. Der wettbewerbsorientierte Ansatz. Bei den Nationalen Spielen und Weltspielen handeln wir nach dem wettbewerbsorientierten Ansatz. Hier sind die Teams so zusammengestellt, dass alle annähernd das gleiche Alter sowie das gleiche Leistungsniveau haben und bereits seit einiger Zeit gemeinsam als Team trainieren. Um das sicherzustellen, gibt es bei Events die sogenannten Unified Observer.
Was genau machen Unified Observer?
Die Unified Observer haben die Aufgabe, die Wettbewerbe zu observieren,
also zu beobachten, und dann festzustellen, ob alle Sportler*innen gleichwertig in den Wettbewerb eingebunden sind. Wir nennen das auch „Meaningful Involvement“.
Und wäre das nicht der Fall, dann würden die Unified Observer in Rücksprache mit der Wettbewerbsleitung das Team sanktionieren.
Bei den Nationalen Spielen werden bis auf Kraftdreikampf und Roller Skating alle Sportarten als Unified Sports® Wettbewerbe ausgetragen. Bei Teamsportarten wie Handball oder Basketball kann man sich relativ einfach vorstellen, wie das funktioniert. Aber wie ist das beispielsweise bei Judo, Schwimmen oder anderen Einzelsportarten – wie läuft das ab?
Also Schwimmen oder auch Leichtathletik sind ja per se eher Individualsportarten, bei denen man vielleicht etwas länger überlegt, wie Unified Sports® integriert werden kann. Und dann kommt man aber glaube ich auch relativ schnell auf die Staffel-Wettbewerbe. Also dass man beispielsweise festlegt: im Schwimmen gibt es eine Staffel bestehend aus vier Sportler*innen, davon zwei Athlet*innen und zwei Partner*innen.
Im Judo sieht das Ganze schon ein bisschen anders aus. Hier gibt es die sogenannten Unified Kata Wettbewerbe – oder auch inklusive Kata Wettbewerbe. Dabei gibt es genauso wie sonst auch ein Unified Team bestehend Athlet*in und Unified Partner*in, das im Training gemeinsam Wurftechniken und Formen einübt. Vor Ort beim Wettbewerb wird das Eingeübte präsentiert und mit Punkten bewertet.
Es ist wirklich schön anzuschauen und unterstreicht auch noch einmal, dass es bei Special Olympics nicht primär ums Gewinnen, sondern um das Miteinander geht. Und bei Unified Sports® im Speziellen um das Gemeinsame, sprich nicht wie beispielsweise bei einer Assistenz um Unterstützung.
Wie finden sich die Unified Teams normalerweise?
Oftmals ist es so, dass es Kooperationen zwischen Schulen und Werkstätten
oder zwischen Vereinen und Wohnheimen gibt und sich so inklusive Teams bilden. Was dabei ganz wichtig ist: Es braucht Initiator*innen, die quasi das Zepter in die Hand nehmen und die verschiedenen Gruppen zusammenbringen. Die größte Schwierigkeit ist meistens, alles aufeinander abzustimmen. Wenn man überlegt: Im Vereinssport ist man meistens am Abend um 19:00 oder 20:00 Uhr aktiv, zu der Zeit haben die Werkstätten aber beispielsweise schon lange geschlossen und der Fahrdienst ist vielleicht schon weg.
Das ist immer die große Herausforderung. Und deshalb ist es unheimlich wichtig, Kooperation zu haben und sie am Leben zu halten.
Aber oft ist es so, wenn sich Teams gefunden haben und sie auch eine längere Zeit miteinander Sport machen, dass sich über den Sport hinaus eine Freundschaft entwickelt und ein enger Zusammenhalt entsteht.
Und kann theoretisch jede Person Unified Partner*in werden?
Ja. Das steht allen offen.
Und dafür ist es wichtig, die benötigten Strukturen zu schaffen und Vereine zu finden, die sich öffnen. Es gibt einige Initiativen von Special Olympics Deutschland mit dem Ziel, Sportvereine inklusiver aufzustellen und dann hat dort auch jeder Mensch die Möglichkeit, Unified Partner*in zu werden.
Wie findet man als interessierte Person die Angebote in der Umgebung?
Den besten Überblick zu bestehenden Angeboten haben die Landesverbände von Special Olympics Deutschland. Sie kennen ihre inklusiven Vereine und Mitgliedseinrichtungen im Umkreis, bei denen Unified Partner*innen eingebunden werden können. Ich würde also empfehlen, mit dem jeweiligen Landesverband Kontakt aufzunehmen.
Vielleicht gibt es in der Umgebung schon etwas, dem man sich anschließen kann, oder ist man vielleicht auch so mutig und initiiert selbst etwas?
Bei den Weltspielen 2023 werden weniger Sportarten als Unified Sports® Wettbewerbe ausgetragen als bei den Nationalen Spielen. Wie läuft dabei im Hintergrund der Entscheidungsprozess ab und welche Herausforderungen bringt es mit sich?
Ich rolle es einmal von hinten auf. Wichtig ist immer eine ganz klare Kommunikation. Also Special Olympics Deutschland (SOD) hat jetzt die Ausschreibung veröffentlicht, in welchen Sportarten SOD eine Quote bekommen hat für die Weltspiele. So wissen alle Athlet*innen und Unified Partner*innen frühzeitig, welche Plätze es gibt und ob in der jeweiligen Sportart überhaupt die Möglichkeit besteht, sich zu qualifizieren. Und so ist man schon von Anfang an sehr offen und transparent, damit Enttäuschungen vermieden werden.
Der Prozess dahinter ist, dass SOI – also der Weltverband – jedes Jahr einen Zensus mit den nationalen Programmen macht. Jedes Programm ist muss angeben, wie viele Sportler*innen sie in den jeweiligen Sportarten haben und entsprechend aufzugliedern wie viele davon Unified Partner*innen sind. Und anhand dieser Zahlen wird überlegt, in welchen Sportarten welche Wettbewerbe angeboten werden. Wir haben beispielsweise in Deutschland in ein, zwei Sportarten Unified Sports®, sind aber eines der wenigen Länder, die das anbieten.
Beim Entscheidungsprozess stellen wir uns dann außerdem die Frage: Wie viele Sportler*innen können teilnehmen, um weiterhin für alle eine gute Atmosphäre zu schaffen und im Zeitplan zu bleiben?
Was ist deine schönste Unified Sports® Erinnerung oder Erfahrung?
Ich würde sagen ganz generell war das die Erfahrung der Weltspiele in Abu Dhabi. Ich war zwei Wochen als Teil der Delegation dort. Und wenn man zwei Wochen mit ganz vielen Athlet*innen, Unified Partner*innen und Coaches zusammen ist, merkt man erst richtig, wie zusammengewachsen die Teams sind. Zum Beispiel beim letzten Volleyball-Spiel, als es um die Medaillen ging. Das hatte das deutsche Team leider verloren, aber man sah trotzdem, wie sich alle gegenseitig aufbauten und unterstützten. Das ist das Schönste, wenn man diese Emotionen und den Zusammenhalt untereinander sieht.
Außerdem sind die Teams an spielfreien Tagen auch gemeinsam losgezogen, um an den Strand zu fahren oder eine Wüstentour zu machen. Es wird also nicht nur beim Wettbewerb Unified gelebt, sondern eben auch außerhalb des Sports.
Gibt es noch etwas, was du gerne zum Thema Unified Sports® loswerden möchtest?
Ich glaube, man sollte es auf jeden Fall mal ausprobieren und einfach offen dafür sein. Und wenn man die Möglichkeit hat, es auszuprobieren oder schon allein es sich anzuschauen, jetzt bei einer Veranstaltung in Berlin beispielsweise, dann bitte nicht zögern.
Kommt doch einfach mal mit Athlet*innen oder Partner*innen ins Gespräch und tauscht euch über deren Beweggründe aus. So kann man auch mehr zu organisatorischen Hintergründen erfahren: Wie kann man am besten selbst Partner*in werden? Wie kann man sich in einem Team engagieren? Und das Wichtigste: es dann einfach mal ausprobieren.
Danke Andrea!
Zur Person
Name: Andrea Standecker
Lieblingssportart: Ski Alpin
Lieblingsstadt: München
Lieblingstier: Affe
Teil der Special Olympics Familie seit: ehrenamtlich seit 2013, hauptamtlich bei Special Olympics Deutschland seit 2015 und im Weltspieleteam seit 2021